Sonntag, 4. Februar 2018

Meine erste Liebe: "Lieber Marcel" - Teil 4/4



Ich überspringe nun den Teil mit der Warteschlange vor dem Freibad, denn geneigter Leser hat das bereits hinter sich gebracht. Tante Elfi ließ sich zu Beginn gemütlich auf der Wiese von der Sonne braten, während wir Kinder im Wasser rumtobten. Marcel hatte immer ein hütendes Auge auf sein Schwesterlein gerichtet, denn Kinder tunken ja mit Vorliebe auch mal die Schwächeren unter – vor allem die doofen Jungs uns Mädchen. Schließlich kam der Moment, in dem seine Schwester uns mitteilte, das sie eine Weile auf die Wiese gehen würde, und so bot sich endlich die Gelegenheit, das wir uns unterhielten. Marcel ergriff, auch wenn er nicht scheu war, so war er wohl aufgrund meines Verhaltens an diesem Sommertag etwas verunsichert, was uns beide betraf, meine Hand und fragte, ob wir auf die gegenüberliegende Wiese gehen wollten, unter einen schattigen Baum. Mein Herz schlug zum Zerspringen, ich hätte ihn am liebsten umarmt und geküsst. Aber ich hielt mich streng zurück, wollte mich kontrollieren.
Nachdem wir eine Weile schweigend im Schatten gesessen hatten – Tante Elfi und Marcels Schwester auf der anderen Seite im Getümmel, in dem wir sie unmöglich ausmachen konnten, so voll war das Schwimmbad – sah er mich eindringlich an. Ich erwartete aufgrund seines intensiven Blickes schon nichts Gutes mehr, zog meine
Hand zurück, fühlte mich hundeelend und hätte am liebsten heulen mögen, obwohl ich nicht mal wusste, warum er mich so ansah.
„Warum bist du so traurig heute?“ fragte er sanft.
Beim Klang seiner Stimme, bei dieser Frage, wurden meine Knie weich, und hätte ich nicht gesessen, wäre ich wohl  zusammengesackt. Ich lief rot an – wie ja nicht anders zu erwarten war – und schämte mich, das ich dachte, seine Gefühle wären hinfällig, nur weil wir uns ein paar Tage nicht gesehen hatten. Ich schämte mich zutiefst, doch statt es zuzugeben, zog ich mich in mich zurück und schwieg. Doch er nahm nur meine Hand, hielt sie ganz fest, sah mich mit einem lieben Blick an und gab mir einen Kuss auf die Wange.
Mein Schweigen dauerte sehr lange, und wir saßen einfach nur da, unter dem Baum, während meine Hand krampfhaft versuchte, die seine zu fassen, und ich krampfhaft versuchte, meine Hand zu kontrollieren und in die Wiese zu graben. Schließlich rupfte ich ein wenig Gras aus dem Boden, und er ließ meine Hand los. Ich fühlte mich so verloren und hilflos, denn ich hatte ihn so furchtbar lieb, und konnte nicht aus mir rausgehen.
Ich legte mir einige Worte zurecht, durchdachte sie von vorn bis hinten, von hinten bis vorn, verwarf sie, legte sie neu zurecht und wollte endlich aus mir rausgehen. Mein Herz schlug immer schneller, ich spürte meinen Kreislauf runtersacken, mir wurde einen Moment schwindelig, ich schien völlig den Boden unter mir zu verlieren...
Marcel ergriff wieder meine Hand, wie um mich zu erretten, und fragte:
„Hast du mich denn lieb?“
Und sein Blick sprach Bände, sprach mehr als tausend schöne Worte in tausend romantischen Geschichten, die ich bis dahin gelesen hatte.
„Ja...“ brach es aus mir heraus, ganz leise, gehaucht, gewispert, voller Furcht. „Aber ich muss in ein paar Tagen wieder nach Hause...“
Aha, dachte ich, das war also der Grund, warum ich mein Herz so an die Leine legen und alle Gefühle von mir schieben wollte. Ich fühlte mich noch viel elendiglicher als zuvor, ich traute mich kaum, ihn anzusehen, diesen süßen Jungen, der mein Herz gestohlen hatte.
Traurig guckte er zu Boden, dann sah er wieder mich an. Ich weiß nicht, was da in seinen Augen geschrieben stand, aber es war wunderschön und tieftraurig. Seine Hand umklammerte meine noch fester, und nun hielt ich auch seine fest, wollte ihn nicht mehr loslassen.
„Jetzt sind wir zusammen, und wir sehen uns auch bestimmt bald wieder!“ sagte er, und da schwang Hoffnung mit, Vorfreude und etwas, das ich bis dahin noch bei keinem Jungen in der Stimme hatte heraushören können: echte Zuneigung.
„Trotzdem bin ich traurig...“ seufzte ich, und war nun wieder bereit, mich fallenzulassen. Ich lehnte meinen Kopf an seine Schulter, während er einen Arm um mich legte. Sacht nur, ganz leicht, doch nach einigen Minuten immer fester, kraftvoll und voller Zuversicht.
„Du...“ sagte er dann, und sah mich an mit diesem offenen, warmherzigen Blick. „Wirst du mich nicht vergessen, wenn du wieder zu Hause bist, in der Stadt, meine ich?“
Und nun schwang in seiner Stimme Traurigkeit mit, und es war an mir, ihm Zuversicht zu geben, es lag in meiner Hand, ihm zu zeigen, das er mir sehr viel bedeutete, mehr als jeder andere auf der Welt.
„Ich werde dich nie vergessen! Wir sind für immer zusammen.“
Und wir strahlten uns an, auch wenn wir beide betrübt waren, wenn wir beide eine Vorahnung hatten, die nichts Gutes verhieß.
Und unter diesem Baum, als die Sonne ihre glühenden Strahlen schon nach unseren Füßen ausgestreckt hatte, gaben wir uns einen richtigen Kuss. Keinen mit Zunge (igitt), aber es war der erste Kuss eines Jungen, den ich bekommen hatte. Und ich wünschte mir nichts sehnlicher, als das dieser Moment niemals vergehen möge.

Den Rest des Tages redeten wir ununterbrochen, erzählten uns alles, was man sich nur erzählen, nein, was man sich offenbaren kann, wir vertrauten uns Dinge an, die nicht mal meine Freundinnen wussten, die nicht mal seine Freunde nur erahnten. Wir waren unzertrennlich an diesem wundervollen Sommertag im Freibad. Ich wollte nicht, das es jemals zu Ende gehen würde, und Marcel sagte mir, das er schon im ersten Augenblick, als er mich gesehen hatte, mit mir hatte zusammen sein wollen.
„Ich wünsche mir, das du einfach hier bleiben kannst. Oder ich komme dich besuchen. So weit ist es ja nicht.“
Mir war auch egal, jetzt und hier, was mein Vater dazu sagen würde, wenn ich ihm eröffnete, das ich nun einen Freund hatte. Und das ich ja wohl auch das Recht dazu hätte, denn er hatte ja auch immer mal die eine oder andere Freundin. Und was war schon dabei? Dachte ich, hoffte ich, wünschte ich mir.
Wir sprachen über unsere Zukunft, wie wir uns das Leben vorstellten, was wir gemeinsam machen wollten. Pläne schmieden ist womöglich leicht übertrieben, aber keiner von uns beiden redete nur von sich allein. Es war, als wären wir verbunden, als hätten wir das schon lange gespürt...

Kaum das ich wieder Daheim war, in der Stadt, nahm ich mir vor, mich beim nächsten Wiedersehen direkt fallenzulassen, nicht nochmal von vorn zu beginnen, denn nun wusste ich ganz sicher, was er für mich empfand.
Bis ich ungefähr fünfzehn Jahre alt war, habe ich sehr, sehr oft an Marcel gedacht. Ich habe ihn seit dem Tag im Freibad nie mehr wiedergesehen. Ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist, und ich habe mir nichts sehnlicher gewünscht – damals jedenfalls – als ihn noch ein einziges Mal wiederzusehen. Immer, wenn ich von da an meine Tante und meinen Onkel besucht habe, schaute ich sehnsüchtig zum Fenster hinaus, um die Ecke lugend, auf die Straße; bei jedem Fahrrad, das vorbei fuhr, hoffte ich, Marcel würde zum Haus einbiegen, mir zuwinken, wir könnten uns in die Arme fallen...
Ihr wollt wissen, ob ich je versucht habe, ihn wiederzufinden? Bei meinem nächsten Besuch bei Tante und Onkel ging ich, unter dem Vorwand, mit dem Hund Gassi gehen zu wollen, zu seinem Haus und klingelte. Doch niemand meldete sich an der Gegensprechanlage, niemand öffnete. Der Garten sah verwildert aus, und ich dachte noch, das ich Elfi fragen würde, was aus Marcel und seiner Familie geworden ist, ob sie nicht mehr dort in dem Haus lebten... ich habe nicht gefragt, aber ich erfuhr, das sie noch im selben Jahr weggezogen sind, als wir uns kennenlernten. Ich erfuhr es Jahre später, und mein Herz brach entzwei.

Ich gebe zu, das ich viele Jahre gar nicht an ihn dachte. Ich wurde erwachsen, Männer traten in mein Leben, gingen wieder (oder wurden gegangen), und man wird nicht nur älter, sondern auch reifer. Doch jetzt, wenn ich zurückblicke, muss ich mir selber eingestehen, das ich einen Wunsch tief in mir hege: zu erfahren, was aus ihm geworden ist. Nun, da ich erwachsen bin, möchte ich so gerne wissen, wie das Leben zu ihm war. Ist er glücklich? Hat er die Liebe seines Lebens gefunden? Ist er geliebt und behütet? ...
Ich werde es nie erfahren, und das schmerzt viel mehr als die Tatsache, das damals unsere zarte, kindliche Liebe jäh von den Erwachsenen zerstört, im Keim erstickt  wurde, wie eine zerbrechliche Pflanze, die im Wachstum beschnitten wird.
Ich wünschte so sehr ich könnte diese Worte mit ihm teilen und ihm sagen, was ich damals wirklich empfand.

Danke Marcel, Du warst meine erste große Liebe, und ich werde Dich niemals vergessen! Ich wünsche Dir von ganzem Herzen ein glückliches Leben mit unermesslicher Liebe! 💘


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